HRV Banner Homepage.jpg

Autoverband diskutiert mit Fahrradbranche

Von Tempo 30 bis Flächenverteilung
Der Verkehr in Deutschland ist im Wandel. Das Auto wird zwar nicht abgeschafft, aber es rücken immer mehr alternative Verkehrsmittel in den Mittelpunkt. Speziell Fahrrad und E‑Bike spielen eine wachsende Rolle und gelten als ökologische Hoffnungsträger. Für die Zukunft braucht es nicht nur deshalb eine Umgestaltung des Verkehrsraumes – das erkennt auch der Verband der Automobilindustrie, VDA. In einer Medienrunde des pressedienst-fahrrads diskutierte VDA-Geschäftsführer Dr. Kurt-Christian Scheel mit Vertreter:innen der Fahrradbranche.
 
Das Auto ist aktuell noch der Deutschen liebstes Kind. Selbst für Strecken unter fünf Kilometer nutzen laut einer aktuellen Studie des Statistischen Bundesamtes rund 40 Prozent der Berufspendler:innen das Auto. Doch die Zeiten ändern sich langsam: Der Anteil an pendelnden Radfahrer:innen ist laut der Befragung in den letzten vier Jahren auf 26 Prozent gestiegen – besonders in den Städten schwingen sich immer mehr Berufstätige aufs Rad. Eine Entwicklung, die auch der Automobilindustrie nicht verborgen blieb. „Der Bereich Mikromobilität ist der aktuell am stärksten wachsende in unserem Unternehmen. Wir haben schon seit längerem begonnen, darin zu investieren“, sagt Dr. Thomas Leicht, Leiter des Bereichs Sonderaufgaben Antriebe bei der Brose Unternehmensgruppe. Der Automobilzulieferer fertigt eigene E‑Bike-Antriebe und gehört mittlerweile zu den Größen der Branche und steht beispielhaft für immer mehr Zuliefererfirmen, die bislang im Autosektor aktiv waren, sich nun zusätzlich dem Fahrradbereich öffnen. Das erkennen auch die Verantwortlichen des VDA, wie Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer Politik und Gesellschaft, bestätigt. Deshalb war es für den Verband auch ein logischer Schritt, der diesjährigen IAA in München erstmals den Namszusatz „Mobility“ zu geben, um die Ganzheit der Mobilität sichtbar zu machen. „Viele Menschen fahren wegen des zeitlichen Vorteils mit dem Auto. Immer da, wo wir aus guten Gründen sagen, dass wir das Auto zurückdrängen wollen, brauchen wir Alternativen, damit die Menschen ihr Bedürfnis nach Mobilität auch erfüllen können,“ so Scheel, der selbst gerne im Alltag aufs Fahrrad steigt.

Mehr Radverkehr für lebenswerte Städte
Dafür untersuchte der VDA laut Scheel, wie sich das Mobilitätsverhalten ändert und gerade unter der Sichtweise einer lebenswerten Stadt der Radverkehr wichtiger wird. „Es ist auffällig, wie positiv sich der Radverkehr entwickelt – und darauf müssen Städte reagieren“, so Scheel. Ein wichtiger Punkt: Die besten Verkehrsverhältnisse sowohl für die Bürger:innen in der Stadt, im Umland als auch auf dem Land zu schaffen. In vielen Städten zeigt sich bereits das Bestreben für eine Verkehrswende. „In Hamburg ist die Stadtregierung sehr aktiv. Es wurden einige Radprojekte realisiert und die Verkehrswende ist im vollen Gange“, berichtet Volker Dohrmann, Leiter Strategie, Produkt und Marketing beim Hamburger Fahrradhersteller Stevens. Er fordert: „Wir brauchen aber breite Radstraßen und nicht schmale Radwege.“ Das Problem dabei: Die Verkehrsflächen werden in den Städten nicht größer, Autos hingegen schon. In der Folge entstehen Verteilungskämpfe zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen. „Die Frage ist natürlich: Wer bekommt wie viel Platz in der Stadt?“, so Alexander Kraft vom Liegeradspezialisten HP Velotechnik. Der Hersteller sieht sich mit seinen dreirädrigen Modellen als eine Art Bindeglied zwischen Auto und Fahrrad und möchte seine Produkte in Zukunft mehr für Pendler:innen auf Mitteldistanzen als Alternative zum Auto etablieren. Eine Umgestaltung des Verkehrsraums, z. B. mit sicherer Radwegeführung und besseren Parkplatzmöglichkeiten für Radfahrende aller Art, sei auch deshalb unerlässlich. „Es gibt immer wieder Initiativen gegen Parkraumumgestaltung, aber generell ist der Anspruch für mehr Parkraum für Fahrräder in den Kommunen spürbar“, so die Einschätzung von Andreas Hombach, Leiter Key Account Management beim Fahrradparksystemanbieter WSM. Das wird auch durch die rapide steigenden Nutzungszahlen untermauert – wo immer mehr Menschen aufs Rad setzen, gibt es Bedarf für zusätzliche Infrastruktur.

Menschen wollen Veränderung
Um den Verkehrsraum entsprechend umzugestalten, braucht es also Konzepte, die auch an den Ansprüchen und den Mobilitätserwartungen der Menschen entsprechen. Z. B. sind laut der Umfrage des VDA aktuell Radwege mehr gefragt als Autoparkplätze in der Innenstadt. Das zeigt den Willen der Menschen für Veränderungen bei der Mobilität, was als Chance auch in Hinblick auf den Klimawandel gesehen wird. Diese Entwicklungen müssen in den Planungsgesprächen mit bedacht werden. „Wir brauchen mehr Mittel für Infrastruktur in der Mobilität. Wir benötigen gerade in den Städten eine attraktive Infrastruktur, damit jeder Verkehrsträger, auch das Fahrrad, seine Stärken ausspielt“, wünscht sich Scheel deshalb von der Politik und sieht gerade den Verkehrsmix als lohnenswerten Ansatz. Dr. Thomas Leicht geht sogar noch einen Schritt weiter und möchte eine deutlichere Verschiebung in Richtung Fahrrad sehen: „Es muss ein klares Signal geben, dass etwas passiert. Wir brauchen eine Umwidmung von Verkehrsflächen.“

Neue Regierung muss mehr tun
Von wem jedoch das Signal für eine Umverteilung ausgehen muss, darin sind sich die Experten noch uneins. Für Alexander Kraft ist klar, dass mehr Wille zur Verkehrswende vom Bund eingebracht werden sollte: „Die Bundesregierung soll nicht alles an die Kommunen und Kreise weitergeben. Es muss mehr von oben kommen.“ VDA-Geschäftsführer Scheel sieht hingegen gerade die Kommunen in der Pflicht, aktiver zu werden. Verschiedene Orte hätten verschiedene Voraussetzungen für die Mobilität, alleine bei den Verkehrsströmen, der Infrastruktur, der Topographie oder beim bestehenden ÖPNV-Angebot. Deshalb müsse es Konzepte geben, wie die Rahmenbedingungen in den einzelnen Kommunen verbessert werden können.

Kommt bald mehr Tempo 30?
Eine schnelle Umsetzung, die von Radfahrverbänden immer wieder gefordert wird, sind z. B. flächendeckende Tempo-30-Zonen in Innenstädten. Auch Scheel sieht diesen Punkt und spricht sich deshalb für mehr Freiräume bei der Einrichtung für die Kommunen aus. Beispielsweise bringt er eine sinnvolle Bündelung des Durchgangsverkehrs ins Spiel. Auf diesen Fahrbahnen gelte dann weiterhin ein schnelleres Tempo, während auf den anderen Straßen 30 km/h zur Regel werden könnte und so die Sicherheit der nicht-autofahrenden Verkehrsteilnehmer:innen erhöht wird. „Zum Ausbau der Infrastruktur gehört aber auch die Qualität der Infrastruktur, z. B. Fahrbahnbelag oder Ampelschaltungen. Da ist noch viel zu tun“, so Scheel und prognostiziert auch in Hinblick auf die nächste IAA Mobility zur Frage, ob Auto oder Fahrrad: „Beides gehört zusammen. Das wollen wir auch weiterentwickeln.“

Quelle: pressedienst-fahrrad.de

letzte Änderung: 23.11.2022